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Wie wir die Flüchtlinge vertrieben haben.

In vielen Internet-Foren und in Facebook sind mir mit wachsendem Unbehagen die oft sehr  einseitigen Posts zum Thema „Flüchtlinge“ aufgestoßen. Da wird von „besorgten Bürgern“ verbal und emotional auf Flüchtlinge, Helfende und Politiker eingeschlagen. Andere geben Kontra mit ebensolcher verbaler Gewalt. Gewaltfreie Kommunikation ist das nicht. Ich befürchte, dass ein solcher Schlagabtausch im Cyberspace der Nährboden für Gewalt im realen Leben ist. Solcher Art von Diskussionen vertiefen die bereits bestehenden Gräben noch mehr.

Rassismus und Fremdenhass vernebeln den Blick und lassen den Flüchtling nicht mehr als Mensch mit persönlichem Schicksal, Sorgen und Nöten erkennen, sondern als unpersönliches Objekt. So ist Verstehen schwer möglich. Ich finde es jedoch zu kurz gegriffen, alle „besorgten Bürger“ als Rassist und Fremdenfeindlich zu stigmatisieren. Denn so traut sich keiner mehr, seine Sorgen zu äußern, was man in einer Demokratie doch jederzeit können sollte. So fühlen sich die Menschen weder gehört noch verstanden, was sie noch wütender macht.

Aus einem gewissen Abstand betrachtet wird doch in den meisten Forenbeiträge immer das Gleiche gesagt. Mit mehr oder weniger Emotionen wird dort die Sorge geäußert, dass die Fremden nach Deutschland kommen und Vorteile aus unserem Sozialsystem oder Arbeitsmarkt beziehen. Was wiederum für die Einheimischen zu höheren Steuern, sinkenden Sozialleistungen und weniger Beschäftigung führen könnte. Diese Ängste müssen wir wahrnehmen, auch wenn sie verbal noch so  „ungeschickt“ mit sehr viel negativer emotionaler Energie ausgedrückt werden.

Klar ist, dass die Aufnahme von Millionen von Menschen nicht spurlos an unseren gesellschaftlichen Systemen vorüber gehen kann. Aber – sind wir nicht verpflichtet, die Flüchtlinge aufzunehmen, da wir sie selbst zur Flucht getrieben haben? „Hoppla, was schreibt der denn da?“ mag sich der eine oder andere entrüstet fragen, „ich bin doch nicht Schuld an deren Flucht!“

Doch. Bist Du.

Wieso verlassen denn wirklich so viele Menschen ihre Heimatländer und stürzen sich ins Unbekannte? Wieso begeben sie sich auf die beschwerliche und gefährliche Reise und lassen alles Vertraute und Gewohnte zurück?

Wir waren es, die ihre Flucht ausgelöst haben: Um unseren aufwändigen westlichen Lebensstil führen zu können haben wir durch unsere Wirtschaft und durch unsere Staaten jahrzehntelang die ärmeren Länder ausgebeutet und abhängig gemacht. Dabei setzten wir Mittel ein wie Neo-Liberalismus, rücksichtsloser Raubbau natürlicher Ressourcen, Freihandelsabkommen, Sparpolitik und das globale Verschuldungssystem. Damit haben wir wirkungsvoll Wohlstand von diesen weniger entwickelten Ländern abgezogen und zu uns transferiert. Und weil das in den ausgebeuteten Ländern nicht immer von der Bevölkerung toleriert wurde, haben wir politische Unterdrückung installiert oder zumindest unterstützt – mit all ihren Folgen bis hin zur ethnischen Gewalt. Beispiele gefällig?

Und wir Bürger? Wir haben weg geschaut, vom Wirtschaftswachstum profitiert und uns um die eigenen alltäglichen Probleme gekümmert. Wir haben nicht gesehen und nicht sehen wollen dass ein Großteil der Einwohner in den ärmeren Ländern wegen unseres Wohlstandstrebens ihr Leben als immer weniger lebenswert empfindet. Jeder einzelne von uns hat seine Verantwortung abgeschoben – an die Politik (die sollen halt bessere Gesetze machen), an die Industrie (die sollen halt nicht mehr ausbeuten, aber dennoch billig liefern), grundsätzlich immer an „die anderen“ (die sollen sich kümmern). Hauptsache uns geht es gut und wir müssen uns nicht ändern.

In unserer Verblendung haben wir glauben wollen, dass die extrem ungleiche Verteilung von Lebensstandard auf der Welt schon Ok ist. Wir waren das ja auch schon von Kindesbeinen an gewöhnt.

In der Natur erzeugen Druckunterschiede stets das Bestreben zum Druckausgleich. Den Druck haben wir aufgebaut. Jetzt findet Druckausgleich statt. Jetzt treiben unser Wohlstandsstreben, unsere Ignoranz und unsere deutschen Waffen die Menschen aus ihrer Heimat vor sich her.

Ist es nicht verquer dass wir uns beschweren wenn Flüchtlinge kommen, deren Flucht wir durch unsere ignorante Wohlstandsgesellschaft selbst verursacht haben? Flucht ist kein Spaß! Oder würdest Du gerne Deutschland verlassen? Deine vertraute Umgebung, Wohnung, Freunde und Bekannte? Ich glaube nicht. Es ist kein Urlaub. Und auch kein einfacher Umzug. Fast alles bleibt zurück.

Tatsächlich hätten die meisten von uns genauso gehandelt wie die Flüchtlinge. Ausweglose bittere Armut, unfassbare Gewalt, ständige Angst, Hunger oder Krieg – auch wir hätten es irgendwann nicht mehr ertragen und wären ausgewandert. Ein Blick in die Geschichtsbücher reicht um das zu bestätigen: Auch wir Deutsche sind in der Vergangenheit geflüchtet, als es uns und unseren Familien dreckig ging. Auch wir haben bei Kriegen die Koffer gepackt. Und wie würden wir uns wohl fühlen, im fremden Land dann ausgegrenzt und beschimpft zu werden?

Wenn wir in Deutschland jetzt die Flüchtlinge nicht aufnehmen sondern ausgrenzen, dann zwingen wir sie das zweite Mal zur Flucht in eine Welt, die Gewalt und Kriminalität heißt. Das muss uns bewusst sein.

Was tut Not? Wir müssen endlich aufwachen und erkennen, was wir den anderen Ländern angetan haben und immer noch antun. Wir müssen wahrhaben, dass es nicht Ok ist, wenn Kommerz vor Menschen geht. Wir müssen umdenken, unsere Verantwortung annehmen – als Konsument, Mitarbeiter in Unternehmen, Politiker… als Mensch. Wir selbst machen unsere Welt. Nicht „die anderen“.

Wir alle sind Teil dieser einen Erde.

Was tun?

  • Versetzt Euch in die persönliche Lage der Flüchtlinge. Niemand verlässt sein Land gerne!
  • Grenzt nicht aus, weder die Flüchtlinge noch die „besorgten Bürger“. Steht für Eure Meinung ohne Wertung und Wut. Beide Seiten leiden. Werbt für Verständnis.
  • Konsumiert bewusst ohne Ausbeutung und Nachhaltig. Wechselt zu einer fairen Bank. Kauft Fair-Trade wo Ihr nur könnt – von Nahrungsmitteln bis Kleidung.
  • Setzt Euch ein für ein Verbot von Waffen-Produktion und Waffen-Handel
  • Schaut hin und informiert Euch kritisch darüber, was unsere Industrie und Politik tut. Und macht deutlich, dass Ihr nicht mehr alles hinnehmt. Wir sind mündige Bürger, nicht brave Konsumenten!

8 Gedanken zu „Wie wir die Flüchtlinge vertrieben haben.

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  3. Micha

    Wow, schöner Beitrag. Den werd ich einigen Menschen mal dringend zur Lektüre empfehlen. Bin übrigens über Fjonka hierher gestolpert und hab dich gleich mal abonniert, also bedank dich bei ihr. 😉

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    1. Martin Autor

      Hi Micha – Danke für das Lob…. und Danke an Fjonka – das werde ich ihr aber nochmal direkt sagen 😉

      Einen spannenden Blog hast Du da. Kann man den auch per E-Mail oder WordPress folgen? RSS-Feed ist nicht so mein Ding?
      Martin

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      Antwort
      1. Micha

        Hmm, ob du mir auch direkt mit WordPress folgen kannst, weiß ich nicht, ich denke eher nicht. Und ein E-Mail-Abo steht schon lange auf meiner ToDo-Liste… :-/ Also nee, damit kann ich vorerst noch nicht dienen. Ich arbeite dran. 🙂

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